07.09.2021
Am 03.09.2021 wurde der Friedhof durch Bürgermeister Jürgen Reinhard und Planer Thomas Struchholz offiziell eröffnen. Den kirchlichen Segen gaben Pfarrer Haas und Pfarrer Kunze. Im nächsten Schritt werden nun die Kosten kalkuliert, Eckpunkte definiert, etc., endgültige Freigabe zur Belegung ist ab 2022 vorgesehen.
Ansprache zur Friedhofserweiterung – Bürgermeister Jürgen Reinhard
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Persönlich konnte ich bisher meistens unbeschwert auf den Friedhof kommen. Dieser Ort hat
mich ehr beruflich beschäftigt, als dass ich selber Betroffener bin und einen nahen Menschen
verloren habe und täglich diesen Ort aufsuchen durfte. Auch wenn Oma und Opa bereits
verstorben sind, dann ist das schon lange her, in einem Alter, wo das Sterben schon wieder zum
Leben gehört. Für viele Menschen ist der Friedhof sehr weit weg, hat keine Bedeutung, ist nicht
greifbar und das Thema Tod wird eh verdrängt. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem man selbst
betroffen ist.
In den letzten beiden Jahren konnte ich einiges über Friedhöfe, Pietät, Trauerpsychologie,
Trauer- und Bestattungskultur erfahren und die menschliche Sicht dahinter, mitnehmen.
Herr Struchholz prägte Sätze wie:
Friedhof ist ein Ort der Begegnung, ein Ort der Lebenden, ein Ort mit Zukunft;
Und wenn man hier auf dem Friedhof ist, zu seinen verstorbenen Angehörigen geht, trauert
oder nach seinem Grab schaut, das Unkraut jätet und den Pflanzen Wasser gibt, dann trifft man
viele lebende Menschen. Ja, dieser Satz, „ein Ort der Lebenden“ passt gut.
Und dann:
Was soll das denn? Das kann doch nicht wahr sein? Hier lass ich mich nicht mehr beerdigen! Hat
das der Pfarrer überhaupt erlaubt? „Ein Spielplatz auf dem Friedhof“, da dreht sich doch mein
Vater im Grab um;
Das sind Reaktionen und Gespräche die ich in den letzten Wochen geführt habe. Am besten war
aber der Großvater, der mit mir darüber gut 20 Minuten gesprochen und diskutiert hatte, und
dies auch kritisch beurteilte, während seine beiden kleinen Enkeln ruhig auf der Nestschaukel
genau die Zeit verbrachten. Nach dem Gespräch beurteilte er es anders!
Liebe Gäste!
Der Friedhof ist ein Ort der Begegnung. Zwei Spielgeräte, die für genau diesen Zweck, da sind,
stören nicht die Totenruhe und sind auch nicht pietätlos.
Aber der Reihe nach! Herzlich willkommen, dass Sie alle gekommen sind.
Einen ganz besonderen Gruß darf ich an Pfarrer Ernst Haas und Pfarrer Joachim Kunze richten.
Danke für Ihr Kommen und auch Ihren kirchlichen Segen nachher. Und dann natürlich,
willkommen liebe Schwester Damaris, Ehrenbürgerin von Niedernberg, schön dich schon wieder
zu sehen. Du warst noch gar nicht richtig weg! Herzlich willkommen auch Herr Struchholz und
Herr Schwarzkopf.
Warum gestalten wir den Friedhof um?
Schauen Sie sich den alten Teil des Friedhofes an. Da gibt es überall, mittlerweile zahlreiche freie
Flecken, Gräber die nicht mehr belegt werden. Gräber bei denen die Ruhefrist abgelaufen ist
und von den Angehörigen nicht mehr verlängert werden. Meistens, nicht wegen des Geldes.
Sondern, weil die Grabpflege altersbedingt nicht mehr ausgeübt werden kann, mühselig ist, oder
auch gar keine Angehörigen mehr da sind. Die freiwerdenden Flächen werden dann nur ganz
ungern wieder neu belegt. Da liegt ja schon jemand drunter! Die Lücken jedenfalls werden mehr
und größer.
Wir haben vor ein paar Jahren die Aussegnungshalle erweitert und die Sakristei verlegt. Das war
der Situation geschuldet, dass bei gut 30 – 50 Beerdigungen im Jahr, es doch häufiger vorkam,
dass mehrere Särge gleichzeitig unterzubringen waren. Auf die Straße wollten wir auch keinen
stellen.
Dem Zustand der Wege und der Bepflanzungen geschuldet war es dann auch geboten, optisch
etwas aufzubessern. Und was man nicht unterschätzen darf, die Begehbarkeit der alten
Schotterwege mit Rollatoren und Gehhilfen war dann doch auch für viele sehr beschwerlich.
Natürlich ist auch schon die Frage aufgetaucht, warum habt ihr denn im alten Friedhofsteil nicht
alle Wegeverbindungen gleich mitgemacht? Wir haben bewusst nur die Hauptverbindungswege
und die Wege mit den Anschlüssen an den neuen Teil saniert. Der Wegebau mit den seitlichen
Stahlkanteneinfassungen ist eine kostspielige Angelegenheit, soll aber auch entsprechend
haltbar sein. Man könnte mit den Jahren, wenn an den jetzt noch vorhandenen Wegestreifen
Sanierungen anstehen, das dann sukzessive mitmachen. Zum Thema Geld komme ich dann
gleich nochmal gesondert.
Hauptargument für die Veränderungen am Friedhof sind allerdings mittlerweile die veränderte
Nachfrage nach Urnengräbern und alternativen Bestattungsformen. Das ist eine Entwicklung, die
sich in den letzten Jahren sehr verstärkt hat, nicht nur bei uns.
Es werden kaum noch Familienerdgräber nachgefragt, wie es noch vor 25 Jahren der Normalfall
war. Mittlerweile sind 70 - 80 % der Beerdigungen Urnenbestattungen.
Wir haben in den vergangenen Jahren Urnenwände errichtet, die mittlerweile an die Grenze
angekommen sind.
Nach einem langen Diskussion Prozess, nach themenbezogenen Bürgerversammlungen, nach
Besichtigungstouren auf anderen Friedhöfen, mit den unterschiedlichsten Umsetzungsbeispielen
hat sich der Gemeinderat entschlossen, das Thema anzugehen.
Die Aufgabenstellungen waren:
- Welche Formen für Urnenbestattungen werden gebraucht?
- Wie viele Gräber müssen noch umgesetzt werden?
- Wieviel Fläche muss verplant werden?
- Wie kann man den Aufwand für die Hinterbleibenden reduzieren?
- Wie kann man die Pflege überhaupt optimieren?
- Was machen wir aus den großen Flächen, die als Erdgräber in der Größe und Menge in Zukunft nicht mehr gebraucht werden?
- Wie kann man mehr Grün und Farbe reinbringen?
- Was ist trauerpsychologisch zu beachten?
Mit dieser Aufgabenstellung wurde Landschaftsarchitekt Thomas Struchholz aus Veitshöchheim
beauftragt, den Friedhof zu überplanen. Er ist spezialisiert auf Friedhöfe und ist Dozent an der
Hochschule Geisenheim, die in Deutschland die Ausbildungen im Bestattungswesen leistet.
Das Ergebnis sehen wir heute.
350 Urnengräber, in der Regel doppelbelegbar, mit zusätzlichem Kavernengräbern,
Sterngräbern, Sonnenzeigern, Lebensfluss und Sitzgelegenheiten ist das Ergebnis. Eine
automatische Bewässerungsanlage ist auch mit eingebaut. Eine Wegebeleuchtung soll noch
erfolgen, das sind die orangenen Deckel im Boden. Kleinkinderspielgeräte wurden aufgestellt.
Ein „kleiner“ Park ist auf den Restflächen entstanden. Ein Friedhof der sich sehen lassen kann.
Herr Struchholz wird nach der Segnung übernehmen und seine Gedanken und Planungen dazu
erläutern.
Sterben ist nicht umsonst
Wir haben in den Umbau und die Sanierung des Friedhofes viel Geld reingesteckt. Für die ganzen
Landschaftsarbeiten sind über die lange Bauzeit gut 1,3 Mio. € zusammengekommen. Mit den
Nebenarbeiten, Beleuchtung, Bewässerungsanlage, Architekten und Planungskosten, oder auch
Kunst, mit ca. 17.000 € kommen in Summe nochmal gut 340 T€ dazu. Also in Summe ca. 1,66
Mio. €. Eine stolze Summe.
Wir hatten uns auch intensiv mit der Frage einer Überdachung des Platzes vor der
Aussegnungshalle im Gemeinderat auseinandergesetzt und dann mehrheitlich entschieden, das
Thema nicht umzusetzen. Kosten und Nutzen und auch eine gescheite Lösung dafür zu finden,
stehen nicht im Verhältnis.
Ansonsten ist das Projekt planmäßig und kostentreu verlaufen. Einzig unvorhergesehenes waren
der Ausbau und die Entsorgung von belastetem Material im Wegebau, welches nicht wieder
eingebaut werden konnte. Das hat dabei ca. 260.000 € ausgemacht.
Dieses Geld muss langfristig in die Gebührenkalkulation für die Gebühren des Friedhofes
einfließen. Der Friedhof muss komplett neu bewertet werden.
Die Grabanlagen hinter der Aussegnungshalle werden nur noch nachbelegt, Neubelegungen
finden hier nicht mehr statt. Hier ist langfristig Fläche für eine neue Gestaltung.
Bei uns heißt es nicht Kunst am Bau, sondern Kunst auf dem Friedhof!
Die Kunst kommt aus dem Kloster Oberzell! Der Künstler, Herr Engert, ist im Urlaub. Er hat hier
in der Mitte den Sonnenzeiger gestaltet. Ich überlasse es aber Herrn Struchholz die Kunst zu
erklären. Mit meinem pragmatischen Ansatz werde ich das nicht sonderlich gut hinbekommen.
Ein Wort zur bauausführenden Firma, die Firma Schwarzkopf aus Sailauf!
Seit gut einem Jahr „verdullen“ die sich mittlerweile hier auf unserem Friedhof ihre Zeit.
Ganz am Anfang zur ersten Baubesprechung ging es thematisch um den Ablauf. Wie läuft das
mit Baggern und schwerem Gerät auf dem sensiblen Thema Friedhof. Was ist, wenn
Beerdigungen sind, kehren die vorher die Straße und räumen den Erdhaufen weg oder schalten
die gar den Presslufthammer an?
Wir haben da noch guuut in Erinnerung, als eine Firma auf dem Friedhof etwas zu tun hatte und
die Mitarbeiter bei offener, belegter Leichenhalle ihre Frühstückspause in der Aussegnungshalle
mit direktem Blick auf den Sarg machten. Die Vesperboxen lagen noch da, als die Angehörigen
kamen.
Nein, Firma Schwarzkopf hat das nicht gemacht. Die Mitarbeiter haben hier einen tollen Job
gemacht. Sie haben ordentlich geschafft, waren zuvorkommend und haben Pietät walten lassen!
Es war eine gute Baustelle! Danke!
Danke an dieser Stelle auch an die eigenen Mitarbeiter, die Geschäftsleiterin Marion Debes und
als Bauleiter Siggi Hartlaub mit seinem Team vom Bauhof, heute vertreten durch Christian
Rohmann. Die Zusammenarbeit hat offensichtlich sehr gut funktioniert.
Wir sind aber noch nicht ganz fertig:
Die Zufahrt vor dem Friedhof wird noch neu gemacht.
Wir müssen noch genau festlegen, wie die einzelnen Gräber belegt werden können, wie die
Beschriftungen an den Gräbern erfolgen, die Vorgaben hierzu müssen noch erarbeitet und in
eine Satzung gepackt werden.
Und wir müssen auch die Grabgebühren neu kalkulieren.
Also bis die ersten Gräber belegt werden können, wird es noch eine Weile dauern.
Ich gehe aber mal davon aus, dass eh keiner der erste sein will!
Jürgen Reinhard, Erster Bürgermeister
Ansprache zur Friedhofserweiterung – Pfarrer Kunze
Werte Gäste, liebe Anwesenden,
der Tod ist ein Feind.
So sagt das die Bibel.
Der Tod, ein Feind. (1 Kor 15,25)
Wenn er zuschlägt, spüren wir seinen Stachel, seinen schmerzhaften Stich.
Gerade an Orten wie diesem.
Ja, an Orten wie diesem bezeugen wir Tränen und stumme Klagen. An Orten wie diesem fühlen wir mit denen, die verloren haben. An Orten wie diesem standen oder stehen auch wir irgendwann da. Mit unserer Traurigkeit.
Mit unseren so komplizierten Fragen.
Der Tod, ein Feind.
Biblisches Denken rät angesichts des Todes zu heiterer Gelassenheit.
Kriegen wir das hin?
Ich weiß es nicht.
Was ich weiß, ist, dass Trauer in vielen Gewändern und mit unterschiedlichen Gesichtern daherkommt.
Wie wir unsere Trauer ausdrücken, ist schon längst keine Konstante mehr in unserer Welt.
Je vielfältiger die Gesellschaft ist, je mehr sie sich ausdifferenziert in weltanschaulicher, sozialer, demografischer und spiritueller Hinsicht, desto zahlreicher sind die Trauerpraktiken.
Dieser Ort in seiner veränderten und erweiterten Form trägt all dem Rechnung.
Das ist gut.
Ja, es gab kritische Anfragen. Empörung sogar.
Und doch, so glaube ich, müssen wir die Prioritäten neu setzen. Wir müssen Anstrengungen unternehmen, um Menschen in ihrer vielfältigen Trauer gerecht zu werden.
Das tut das Konzept, das hinter der Neugestaltung steht.
Denn es ist ja wahr: Trauer braucht Rückzugsorte. Der parkähnliche Ruhebereich trägt diesem Bedürfnis Rechnung.
Trauer braucht Pausen. Der Graben mit dem angedeuteten Fluss aus Steinen bietet Zeit zum Atemholen und zur Meditation.
Und Kleinkinder? Für sie bleibt der Tod abstrakt. Gedanklich können sie nur für kurze Zeit bei ihm verweilen.
So ist es gut, dass sie hier ihre eigene kleine Welt finden, und im Spiel zurückfinden zum Leben. Dass sie dabei von ihren Begleitpersonen stets angeleitet werden, der Würde des Ortes zu entsprechen, ist – vielleicht - ein frommer Wunsch.
Nun, man wird sehen.
Der Tod ist ein Feind.
Sein Stachel schmerzt.
Wir spüren es.
Aber gerade deshalb ist ein Ort wie dieser in seiner erweiterten Gestalt so wichtig. Nicht um den Tod zu besiegen, sondern um der Trauer mit ihren vielen Gewändern und Gesichtern die Spitze zu brechen.
Orte wie dieser können auf ihre Weise heilend wirken.
Wege zurück zum Leben aufzeigen.
Darauf, so meine ich, muss Segen liegen.
Erbitten wir ihn heute. AMEN
Pfarrer Joachim Kunze, St. Stephanus, im September 2021
Kategorien: Pressemitteilung Gemeinde Niedernberg, Gemeinde & Bürger