22.04.2020
Über eine Patientenverfügung kann jeder Erwachsene oder Urteilsfähige regeln, welche medizinischen Maßnahmen er in welchen Erkrankungs- und Notfällen erhalten möchte und welche nicht.
So kann es sein, dass es jemand grundsätzlich ablehnt wiederbelebt zu werden. Hintergrund ist für viele Menschen, dass heute medizinisch sehr viel möglich ist, was einen zwar am Leben erhält, aber nicht zwingend mit den eigenen Vorstellungen eines Mindestmaßes an Lebensqualität zusammenpasst.
In einem Beitrag des Deutschlandfunks vom 11.04. zitiert der Palliativmediziner Thöns eine Studie, nachdem 91 % der Befragten eine Behandlung ablehnen würden die mit einem hohen Risiko einer Behinderung einhergehen würden. Das sagt am Ende mehr darüber aus, wie unsere Gesellschaft zu Menschen mit Behinderung steht, als über die aktuelle Frage: Will ich im Falle einer Infektion auf die Intensivstation?
Bei jeder Verfügung geht es auch darum, die eigenen Angehörigen mit Entscheidungen nicht allein zu lassen, wenn man sich selbst nicht mehr äußern kann. Die Verfügung bietet dann zumindest schon eine Orientierung über den Willen des Betroffenen. Im Zweifel und ohne eine Patientenverfügung werden zunächst alle medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft, auch Verheiratete oder Kinder haben ohne Verfügung und Vollmacht keine Handhabe.
In der aktuellen Pandemie könnte durch das gleichzeitige Aufkommen von vielen Patientinnen und Patienten die medizinische Versorgung von Menschen mit Atemproblemen an ihre Grenzen kommen. Gerade dann sollten Patienten in dem Umfang behandelt werden, den sie überhaupt wünschen. Hinzukommt, dass die Spannbreite der möglicherweise konkret notwendigen medizinischen Eingriffe scheinbar relativ klar ist.
Im Interview mit dem Medizinethiker Alfred Simon mit dem Tagespiegel kommen auch die drei Stufen der Beatmung zur Sprache. Bei Bewusstsein stellt die nichtinvasive Beatmung mit einer Maske die erste Stufe dar. Die zweite und die dritte Stufe stellen beide invasive Maßnahmen dar, in der Regel ohne Bewusstsein. Konkret bedeutet das dann die direkte Beatmung in der Lunge oder die Anreicherung des Bluts über eine künstliche Lunge. Bei der Patientenverfügung kann es nun aber nicht darum gehen die eine oder andere konkrete Maßnahme auszuschließen, so Simon. Vielmehr sollte das Ziel der Behandlung klargestellt werden, wozu sich auch immer der persönliche Austausch mit den engen Angehörigen anbietet. Im Falle einer aussichtreichen Prognose würde man dann auch die intensivmedizinische Betreuung wünschen, die man in anderen Fällen ablehnt und damit also palliative Begleitung zuhause vorzieht. Inwiefern dies wiederum bei einer Infektion realisierbar wäre, wirft die nächste Frage auf. Eine intensive Begleitung, ein umhüllen und umsorgen scheint schwer realisierbar. Atemnot zu lindern, sei für die Palliativmedizin hingegen „total simpel“ (…), „Kein Mensch muss heute mehr ersticken“, so Thöns, auch Facharzt für Anästhesiologie.
Dennoch muss der Realität geschuldet werden, dass die detaillierten Patientenverfügungen oftmals nicht zur Hand sind, dazu in akuten Krisensituationen in der Formulierung zu umfänglich und zuletzt bilden sie dann dennoch den konkreten Fall nicht exakt ab.
Um den ersten beiden Problemen zu begegnen bieten sich Dokumente der „BVP“ an. Die „Behandlung im Voraus planen“ bedeutet, in einem Schema festzulegen, was in der Patientenverfügung detailliert beschrieben ist. Dieser „Notfallplan“ greift eben im Notfall. Er „garantiert, dass auch in Situationen, in denen Ärzte nicht lange Zeit zum Überlegen haben, keine ungewollte Therapie stattfindet“, so Simon der an Universität Göttingen als Professor lehrt.
Ein solcher Notfallplan gibt in Treppenstufen zum einfachen ankreuzen für den behandelnden Arzt schnell Auskunft: „Lebensverlängerung in jedem Fall“ oder „Lebensqualität in jedem Fall“. Dazwischen bietet eine dritte Option den Mittelweg: „Lebensverlängerung in bestimmten Fällen“, aufgegliedert in vier Unterstufen. Hier kann mit Beratung genau festgelegt werden, was abgelehnt wird, z. B. die Einweisung ins Krankenhaus, oder die Herz-Lungenwiederbelebung.
Der Perspektive der Palliativmedizin, vertreten durch Dr. Thöns stellt der Deutschlandfunk die Position des Intensivmediziners Jürgen Zurheide gegenüber (interviewt am 14.04.). Der betont die große Bedeutung des Patientenwillens, wenn er denn „schriftlich niedergelegt“ ist. Zugleich würde auch unter den Angehörigen „eruiert“. Die intensivmedizinische Behandlung von sehr alten Menschen sei auch „vor Corona“ schon „immer Thema“ gewesen. Dem Aachener Klinikdirektor ist es aber vor allem wichtig, dass Alter nicht als alleiniges Kriterium zu sehen. Es gäbe auch „80-jährige die noch Tennis spielen“, genauso wie es junge Menschen gäbe die mehrfach vorbelastet seien.
Die Patientenverfügung sollte, mit diesem Statement, für noch mehr Menschen von großer Bedeutung sein, im Prinzip geht sie bekanntermaßen alle an.
Anmerkungen:
- Zur Durchsetzung der Patientenverfügung braucht es für den Fall, dass man sich selbst nicht mehr äußern kann, eine Vorsorgevollmacht, die einen vertrauten Menschen bevollmächtigt. Hierzu empfiehlt sich die Vorlage des Bundesjustizministeriums.
- In Bezug auf die Corona-Pandemie kommen hier Stellungnahmen von drei Wissenschaftlern zu Wort, abgerufen am 16.04.2020
- Matthias Thöns: https: www.deutschlandfunk.de/palliativmediziner-zu-covid-19-behandlungen-sehr-falsche.694.de.html?dram:article_id=474488
- Alfred Simon: https: www.tagesspiegel.de/berlin/medizinethiker-zu-coronakrise-jetzt-ist-die-zeit-eine-patientenverfuegung-aufzusetzen/25716854.html
- Jürgen Zurheide: www.deutschlandfunk.de/moegliche-lockerung-der-coronavirus-massnahmen.694.de.html?dram:article_id=474549 - Ziel des Amtsblatt-Artikels ist es nicht in die eine oder andere Richtung zu beraten, sondern dieser versteht sich lediglich als ein Angebot sich dem Thema anzunähern, ob für sich selbst oder in der Rolle des pflegenden Angehörigen.
- Wichtig beim Bewerten dieser Informationen ist der Zeitpunkt. Die wissenschaftlichen Kenntnisse erweitern sich fortlaufend oder ändern sich sogar.
Eine professionelle Beratung zum Thema bietet im Landkreis die „Beratungsstelle für Senioren und pflegende Angehörige“ in Miltenberg und Erlenbach, aktuell nur telefonisch unter 09371 - 669 49 20 oder www.seniorenberatung-mil.de.
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